Drehtagebuch

FÜNF JAHRE HORROR: EIN SPLATTERFILM, DER NICHT FERTIG WERDEN WOLLTE
Erschienen im Schmalfilm 06/2009

Silvester ist die Nacht der guten Vorsätze. Man will endlich mit dem Rauchen aufhören, endlich abnehmen, endlich das Studium beenden. Oder endlich einen richtigen Film drehen! Herwig Bartalszky, meine Freundin Nicole Müller (heute Nicole Bujard) und ich haben uns Silvester 1996 für letzteres entschieden. In unserer bodenlosen Naivität sind wir von einem Jahr Produktionszeit ausgegangen, aber Himmelfahrtskommandos sind eben kein Spaziergang.

Schon das Drehbuch, das ich mit Nicole bis August 1997 geschrieben habe, hätte uns eigentlich zu denken geben sollen. Es hat 144 Szenen, gut 40 Drehorte und jede Menge Spezialeffekte, denn "Night of the Vampire Hunter" ist ein waschechter Horrorfilm. Er handelt von Jens Feldner alias Henry Gloom, einem erfolgreichen Heftromanautor, dessen "Nachtschatten"-Romane Stephen King alt aussehen lassen. Und das ist kein Zufall. Schließlich ist seine Freundin Selin selbst ein Vampir, die alles daran setzt, wieder Mensch zu werden. Dass sie dafür auch über Leichen geht, hätte Jens sich allerdings nie träumen lassen. Jede Nacht spürt sie Vampire auf, um sie zu töten. In der verzweifelten Hoffnung, den einen zu erwischen, der sie vor Jahren gebissen hat. Als Jens endlich hinter Selins Geheimnis kommt, haben sich die Blutsauger längst zusammengerottet und holen zum Gegenschlag aus…

Von Anfang an war klar, dass Herwig die Kamera führen und ich die Regie übernehmen würde. Wir wollten unbedingt auf Film drehen, da semiprofessionelle Videosysteme damals noch ziemlich schlecht waren. Zunächst liebäugelten wir mit 16 mm, dem Format von Genreklassikern wie "The Texas Chain Saw Massacre" (1974) oder "The Evil Dead" (1981). Doch nach der ersten Kalkulation ließen wir schnell die Finger davon. Ohne Lottogewinn, Erbschaft oder Banküberfall war da nichts zu machen. So wurde es Super 8, genauer gesagt, Kodachrome 40 - der preisgünstigste echte Film überhaupt. Das Material sieht toll aus, allerdings nur, wenn man viel Licht hat. Für Innenaufnahmen und Nachtdrehs - also alles, was einen Horrorstreifen ausmacht - ist es hingegen völlig ungeeignet. Manchmal blieb uns nichts anderes übrig, als auf den sehr viel teureren Ektachrome 160 zurückzugreifen.

Da weder Herwig noch ich mit Organisationstalent gesegnet sind, musste Nicole die Produktion übernehmen. In einer Zeit, in der niemand ein Handy hatte und E-Mail kaum verbreitet war, keine leichte Aufgabe. Darüber hinaus hat sie sich um die Makeup-Effekte gekümmert und die Rolle der Selin übernommen. Unser Nachbar Stefan "Cheesy" Keseberg hat den Horrorautor Jens Feldner gespielt, weitere Schauspieler kamen im Laufe der Produktion dazu.

Die Dreharbeiten begannen Ende 1997 in unserer Wohnung, die für die nächsten zwei Jahre als Set, Produktionsbüro und Makeup-Studio herhalten musste. Irgendwann gewöhnt man sich daran, dass in der Küche statt einer gemütlichen Lampe ein Scheinwerfer an der Decke hängt und man auf dem Weg ins Bad ständig über lästige Kabel stolpert. Wir haben hauptsächlich mit einer Beaulieu 4008 ZM II gedreht. Bei Effektsequenzen oder Stunts waren aber immer mehrere Kameras im Einsatz, in der Regel irgendwelche Gurken aus den Kellern der Verwandtschaft. Ausgeleuchtet haben wir mit einigen 1.000 Watt Theaterscheinwerfern (Stufenlinsen), die alles andere als leicht waren und bei denen regelmäßig die Sicherung rausgeknallt ist.

www.schmalfilm.deDrehen mit Super 8 erfordert eben eine positive Grundeinstellung. Man muss einfach daran glauben, dass das Bild scharf ist, dass die Kassette noch bis zum Szenenende reicht, dass die entwickelten Filme nicht in der Post untergehen oder dass die Rollen nicht im Labor verwechselt werden. Einmal haben wir versehentlich einen Urlaubsfilm mit einer strahlenden Familie am Meer zurückbekommen. Ich stelle mir heute noch deren verdutzte Gesichter vor, als unsere Splatterszenen durch ihren Projektor geflimmert sind. Kaum waren die neuen Rollen im Briefkasten, haben wir sie über eine Mattscheibe auf Video überspielt und in den Rohschnitt einmontiert, der so stark flimmerte, dass er epileptische Anfälle auslösen konnte. Während sich die Szenen anfangs noch kaum mit unseren hochtrabenden Erwartungen deckten, lernten wir schnell, dass man beim Film pragmatisch denken muss. Das Medium lädt zum Pfuschen geradezu ein! Alle nächtlichen Autofahrten sind z. B. in der Garage entstanden. Schwarze Vorhänge und ein paar Helfer, die mit Lampen herumrennen, liefern die perfekte Illusion. Sobald man nur noch in Einstellungen denkt, wird das Leben erheblich leichter. Kein Mensch merkt schließlich, wenn Schuss und Gegenschuss eines Dialogs nicht am gleichen Tag gefilmt wurden und die Darsteller erst bei der Premiere erfahren, mit wem sie überhaupt geredet haben.

"Night of the Vampire Hunter" wurde hauptsächlich an Wochenenden gedreht. Aber Klausuren, Nebenjobs (die tatsächlich bezahlt wurden), Partys und Familienfeiern haben uns oft genug Zwangspausen beschert. Dass der Film überhaupt fertig wurde, ist dem selbstlosen Einsatz unseres Teams zu verdanken. Schon erstaunlich, was mit einer Guerilla-Produktion so möglich ist, wenn alle motiviert sind. Wir durften in der UCI-Kinowelt Hürth Park drehen, im angesagten Kölner Party-Lokal "KlapsMühle" und im denkmalgeschützen Deutz-Kalker-Bad aus den 1920er Jahren. Für lau, natürlich. Die Metal-Band "Aardvarks" hat den Soundtrack beigesteuert und auch gleich mitgespielt. Erich Amerkamp hat als Stuntman den Kopf hingehalten.

Am Ende der Dreharbeiten, im September 1999, hatten wir über vier Kilometer Super-8-Film belichtet. Die Abtastung erfolgte bei der Wagner Filmfabrik in Ingelheim. Geschnitten wurde bei Magic EyeVideo in Hürth auf dem Avid; das Master wurde auf Betacam Digital ausgespielt. Wegen der Laufgeräusche der Kamera und dem Bierflaschengeklimper des Teams musste der Film synchronisiert werden, was manche Darsteller fast in den Wahnsinn getrieben hat.

Die Premiere war am 24. September 2000 in der UCI Kinowelt Hürth Park. Danach lief der Film auf Festivals in Argentinien, England, Schottland und den USA. Für das Sitges International Film Festival, dem Mekka des Fantastischen Films, sind Nicole und ich sogar nach Spanien geflogen, um den Film persönlich zu präsentieren, und wurden gleich stilecht mit einer Limousine abgeholt. Astro Distribution hat "Night of the Vampire Hunter" 2001 auf VHS und DVD veröffentlicht. Das schönste Release mit umfangreichem Bonus-Material hat Screen Power 2004 herausgebracht. Erst kürzlich, im August 2008, ist der Streifen bei Orustak Pictures in Japan erschienen. Vampire sind halt nicht tot zu kriegen. Ich kann jedem, der mit dem Gedanken spielt, endlich mal einen richtigen Film zu drehen, nur raten, schleunigst damit anzufangen. Wenn nicht jetzt, dann Silvester.

Der Artikel ist in Ausgabe 06/2009 der Zeitschrift Schmalfilm erschienen. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung.

Originallayout: (pdf), 1004 KB

 

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